Klimaneutrale Kohlekraftwerke – geht das?

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Klimaneutrale Kohlekraftwerke (Quelle: eigene Grafik)

Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Das bedeutet bis 2030 eine Senkung der Kohlenstoffemissionen um 65% und bis 2045 um 100%. Aber nicht nur  Deutschland, sondern alle Staaten, die das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet haben, machen sich eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen zur Aufgabe. Dafür werden Maßnahmen wie Energie- und Verkehrswende aber auch weniger Konsum und viele weiter strukturelle Veränderungen auf die Agenda gerufen. Doch was wäre, wenn all das nicht nötig wäre, wenn wir einfach unsere „dreckige“ Kohleenergie grün machen und das CO2 wieder aus der Atmosphäre ziehen könnten? Wenn wir unser Verhalten nicht ändern müssten und weitermachen könnten wie bisher? Ist das nur ein Traum oder kann das Realität werden?

Ja, zum Teil auf jeden Fall, und zwar mit Technologien, die sich unter Carbon Capture and Storage, kurz CCS, zusammenfassen lassen. Diese können aus der Luft oder aus Abgasen von Kraftwerken oder Industrieanlagen jetzt schon 80 bis 90% des Kohlenstoffdioxids rausfiltern und langfristig Speichern. Sie zählen zu negativen Emissions- Technologien. Negative Emissionen, das heißt aktive menschliche Maßnahmen, um CO2 aus der Atmosphäre zu isolieren, werden bereits in den meisten Klimaszenarien, die mit einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur von unter 2°C rechnen, benötigt. Man geht dabei davon aus, dass bis zu 15% des CO2 global eingespart werden könnte.

In Deutschland stammt immer noch 40% der Energie aus Kohlekraftwerken, doch bei diesen wäre es theoretisch möglich durch Nachrüstung das CO2 aus den Abgasen zu entziehen und zu speichern. Der Staat verabschiedete dafür schon 2011 ein passendes Gesetz und Energiekonzerne wie RWE oder EON arbeiten seit 2014 an der Umsetzung von solchen Anlagen in Deutschland. Bis heute gibt es allerdings nur Pilotprojekte und noch keine einsatzfertigen Systeme.

Wie genau soll das jetzt aber eigentlich funktionieren?

Der Prozess eines Carbon Capture and Storage Systems kann in drei Teile aufgeteilt werden: Separation, Transport und Speicherung. Es gibt verschiede Methoden, die angewendet werden können. Hier wird die Methode beschrieben, mit der bei laufenden Kohlekraftwerken nachgerüstet werden könnte.

1. Separation:

Die Abscheidung des CO2 erfolgt aus dem Abgasstrom nach der Verbrennung im Kraftwerk. Der Prozess wird als Rauchgaswäsche bezeichnet. Dafür wird das CO2 mittels einer Waschlösung gebunden und so aus dem Abgasstrom isoliert. Anschließend wird das reine CO2 unter großem Druck komprimiert, da das CO2 in flüssiger Form einfacher zu handhaben ist.

2. Transport:

Die langfristige Speicherung von CO2 ist nur an ausgewählten Standorten möglich, und dort muss das nun flüssige CO2 erstmal hinkommen. Für den Weitertransport stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl. Für kurze Distanzen können LKWs oder Züge das CO2 in Tankwägen vom Kraftwerk zur Lagerstätte bringen. Weitere Distanzen können am effizientesten mit Pipelines überwunden werden. Hier ist allerdings der infrastrukturelle Aufwand besonders hoch. Auch Schiffe können als Transportmittel von CO2 Tankwägen dienen.

3. Speicherung

Als letztes muss das CO2 noch langfristig gespeichert und fixiert werden, sodass wir von negativen Emissionen sprechen können. Hierfür brauchen wir geeignete Endlagerstätten, dafür kommen nur bestimmte geologische Formationen in Frage. An geeigneten Standorten wird das flüssige CO2 mindestes 850m tief in das Erdinnere injiziert. Das kann zum Beispiel ein ausgefördertes Erdgas- oder Erdölfeld sein. Hier wird das CO2 dann durch physikalische und geochemische Prozesse im den Gesteinsschichten gehalten. In unserem Traum sind Kohlekraftwerke also klimaneutral: Kein beziehungsweise deutlich weniger CO2 landet in der Atmosphäre, stattdessen wird es langfristige unter der Erde gebunden.

Wo ist der Haken?

Fangen wir mit ökologischen Risiken an: Bei der Speicherung von CO 2 in geologischen Lagern erhöht sich der Druck auf umliegendes Gestein. Es kann durch Überdruck Salzwasser, welches sich in unteren Gesteinsschichten befindet, aus den Poren verdrängt werden. Dadurch versalzen Grundwasser sowie Böden und Oberflächengewässer und es kommt zu einer Verschmutzung des Trinkwassers. Bei Erdbeben oder kleineren Erschütterungen, die auch durch den erhöhten Druck selbst ausgelöst werden können, kann es zum abrupten Ausgasen von CO 2 kommen. Das kann zu gesundheitlichen Schäden für Mensch und Tier führen, bis hin zu Todesfällen durch ersticken. Die Wahl eines geologischen Lagers muss also mit größter Vorsicht passieren, damit Menschen und Tiere in umliegenden Gebieten nicht gefährdet sind. Außerdem muss eine umfassende Überwachung der Lagerstätten sichergestellt sein, eine solche Technologie ist im gesetzlich geforderten Umfang schwer umsetzbar. Diese Phänomene können nicht nur in erdbebengefährdeten Gebiete auftreten, auch mikrobeben, wie sie es auch in Deutschland geben kann, können diese  Auswirkungen haben.

Auch wirtschaftlich wirft das System einige Fragen auf: Eine langfristige Bindung von 80 bis 90% des ausgestoßenen CO 2 hört sich im ersten Augenblick nach viel an. Allerdings ist das Betreiben des Carbon Capture and Storage Systems mit einem zusätzlichen Energieaufwand verbunden, diese Energie muss das Kohlekraftwerk zusätzlich liefern. Das heißt, es muss mehr Kohle verbrannt werden, um die gleiche Strommenge zu verkaufen – im Klartext: der Wirkungsgrad sinkt. Außerdem ist allein die Installation der CCS-Systeme mit hohem Kostenaufwand sowie einem hohen Flächenverbrauch verbunden. Zusammengefasst ist die Technologie nicht nur sehr teuer, sondern momentan auch vollkommen unwirtschaftlich. 

Zu guter Letzt ist die Distanz der Kohlekraftwerke zu möglichen geologischen Lagern von Relevanz. Bei vielen Kohlekraftwerken kommt diese Nachrüstung nicht in Frage, weil der Transport zur nächsten möglichen Lagerstätte einen zu hohen infrastrukturellen Aufwand hätte. Am Ende dieser Rechnung sind wir also weit davon entfernt, dass Energie aus Kohlekraftwerken zu irgendeinem Zeitpunkt gänzlich klimaneutral sein könnte.

Und was ist jetzt mit unserer grünen Kohleenergie?

Die Idee klingt erstmal super sexy: „Klimaneutrale Kohlekraftwerke“, aber so schön es auch klingen mag, es sind fossile Energieträger und die haben keine Zukunft mehr, da sind wir uns alle einig. Und der Traum „aus dreckig einfach grün machen“ und unser Verhalten nicht ändern zu müssen, ist geplatzt. Die Ressource Kohle ist begrenzt, wir haben nicht unendlich viel. Das heißt, dass wir früher oder später sowieso nicht mehr auf die Kohle setzen können. Carbon Capture and Storage löst ja nicht das Ressourcenproblem, das System macht Kohlekraftwerke also nicht zukunftsfähiger. Warum sollte man das Unumgängliche weiter aufschieben? In vielen Ländern werden jetzt neue Kohlekraftwerke mit großen CCS-Systemen geplant. Das ergibt keinen Sinn. Wir stehen jetzt allerdings in der Situation, dass wir 10 bis 25 Jahre Zeit haben unsere globale Wirtschaft strukturell vollkommen umzustellen, damit wir noch im Rahmen unseres Ziels von 1,5 °C bis höchstens 2°C globaler Erwärmung bleiben. Das ist eine sehr kurze Zeit für diese Mammutaufgabe, die vor uns liegt. Vermindern wir also die CO 2 Emissionen der bestehenden Kohlekraftwerke, verschaffen wir uns Zeit diese Aufgabe zu bewältigen.

Die CCS-Systeme halten uns also ein bisschen den Rücken frei, während wir jetzt aber wirklich alle zusammen anpacken müssen, um langfristige Klimawandelanpassungsmaßnahmen und die Umstellung des Energiesektors umzusetzen. Ein Klimaschutz ohne Handeln und Veränderung unseres Verhalten, bleibt nur ein Traum!

Quellen

• Achener Stiftung (Hrsg.) (2015): Carbon Capture and Storage. In: Lexikon der Nachhaltigkeit (2015).
• Ansgar Kretschmer (2021): CCS: Was bedeutet Carbon Capture and Storage?. In: Chemie Technik. 14.10.2021.
• European Gas Regulatory Forum (2019): The potential for CCS and CCU in Europe. Report to the thirty second meeting of the European Gas Regulatory Forum. Fischedick, M., et al. (2007): Geologische CO 2 – Speicherung als klimapolitische Handlungsoption. Technologie, Konzepte, Perspektiven. URL: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/2618/file/WS35.pdf (Stand 24.06.2021).
• Fuss, S., et al. (2018): Negative emissions – Part 2: costs, potentials and side effects. In: Environmental Research Letters, 13, 063002.
- IEA (2020): Energy technology perspectives 2020.Special Report on Carbon Capture Utilisation and Storage.
• IPCC (2005): IPCC Special Report on Carbon Dioxide Capture and Storage. Prepared by the Working Group III of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge, New York.
• Minx, J., et al. (2018): Negative emissions – Part 1: Research landscape and synthesis. In: Environmental Research Letters, 13, 063001.
• Tagesschau (2009): Kohlendioxid in der Erde speichern. URL: https://www.tagesschau.de/klima/hintergruende/ccstechnologie100.html (Stand: 14.07.2022).
• Umwelt Bundesamt (2022a): Carbon Capture and Storage. URL: https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/gewaesser/grundwasser/nutzung-belastungen/carbon-capture-storage#grundlegende-informationen (Stand: 11.07.2022).
• Umwelt Bundesamt (2022b): Carbon Capture and Utilization. URL: https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/carbon-capture-utilization-ccu#Klimaschutz (Stand: 14.07.2022).
• Umwelt Bundesamt (2022c): Treibhausgasminderungsziele Deutschlands. URL: https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgasminderungsziele-deutschlands#internationale-vereinbarungen-weisen-den-weg (Stand: 14.07.2022).
• Umweltinstitut München e.V. (2012): CCS ist keine Lösung. URL: http://www.umweltinstitut.org/themen/energie-und-klima/kohle/ccs-ist-keine-loesung.html (Stand 11.07.2022).
• Union Investment (2022): CCU - (k)ein Klimaretter?. URL: https://institutional.union-investment.de/startseite-de/Kompetenzen/Nachhaltige-Investments/Themen/Klima/CCUS.html (Stand: 14.07.2022 ).

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