Biokraftstoff – Umweltfreundlich auch auf den zweiten Blick?

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Quellen: ADAC 2023 © stock.adobe.com/ferkelraggae und Rini Sulaiman/Norwegian Embassy

Vor der Coronapandemie hat man über das tanken häufig nicht weiter nachgedacht, heute ist dafür jedoch ein tiefer Griff in den Geldbeutel nötig. Seit einigen Jahren ist E10 (Ottokraftstoff mit bis zu 10% Bioethanol) die billigere Alternative zu Super und wird außerdem als umweltfreundlicher angesehen. Bedeutet dies also E10 Tanken und damit etwas Gutes für die Umwelt tun, oder ist die Rechnung doch nicht so einfach?

E10 enthält bis zu 10% Bioethanol, doch was hat es mit diesem Biokraftstoff auf sich?

Fürs Erste ist es wichtig zu verstehen, dass Biokraftstoff im Gegensatz zu den meisten anderen Begriffen, denen „Bio“ vorangestellt wird, nichts mit einer Produktion in biologischer Landwirtschaft zu tun hat. Vielmehr werden Biokraftstoffe aus Biomasse hergestellt, die vor allem aus konventioneller industrieller Landwirtschaft stammt. Der Großteil der Pflanzen wird eigens für die Herstellung von Biosprit angebaut. In Deutschland sind 70% der verwendeten Rohstoffe für Bioethanol eigens dafür angebaute Pflanzen. Das restliche Ausgangsmaterial stammt von Abfall und Reststoffen. Ein Land hat insbesondere eine herausragende Stellung für den weltweiten Bioethanolmarkt. Bei diesem handelt es sich um Brasilien, den zweitgrößten Produzenten und führenden Exporteur von Bioethanol. Das südamerikanische Land ist vor allem bekannt für sein Ethanol aus Zuckerrohr. Weitere Rohstoffe für Bioethanol stellen außerdem Weizen, Zuckerrüben und Mais dar. Soja und Palmöl werden zur Herstellung für Biodiesel verwendet.

Dies berücksichtigend, was ist der Vorteil von Biokraftstoffen?

Biokraftstoffe gelten als potenziell klimafreundliche Alternative zu fossilen Energieträgern, da sie vermeintlich geringere Treibhausgasemissionen verursachen. Das liegt daran, dass dieser Ökosprit aus Pflanzen (z.B. Zuckerrohr) hergestellt wird. Diese Biomasse entzieht während ihres Wachstums CO2 aus der Atmosphäre. Bei der Verbrennung des Biokraftstoffs wird das zuvor aufgenommene CO2 wieder freigesetzt. Durch das Nachwachsen des Rohstoffes ergibt sich ein Kreislauf mit Netto-Null Treibhausgasemissionen. Dadurch gilt Ökosprit als kohlenstoffneutral.

Aber wo liegt dann der Haken?

Auch wenn der Kreislauf von Biotreibstoff im Prinzip als kohlenstoffneutral gilt, fallen außerhalb dessen weitere Emissionen an. Das liegt an dem Transport des Kraftstoffs bis zum Verbraucher, den Produktionsmethoden und vor allem an der Landnutzung. Bezogen auf Brasilien wird die größte Menge CO2 bei der Brandrodung zur Schaffung von neuen Plantagen ausgestoßen. Zusätzlich kommt es durch verschiedene landwirtschaftliche Methoden, wie dem Pflügen von Ackerflächen oder dem Entwässern von Mooren, zu Verschiebungen in den Kohlenstoffvorräten und der Aufnahmefähigkeit von CO2 von Böden und Vegetation. Auch Probleme wie Überdüngung führen zu weiteren Emissionen von Stickoxiden (N2O) und Ammoniak (NH4), die ebenfalls zum Treibhausgaseffekt beitragen. Die eben benannten Emissionen lassen sich auf Landnutzungsänderung zurückführen, auch LUC-Emissionen genannt. Somit ist die Kohlenstoffbilanz in Wirklichkeit nicht Netto-Null.

Und was hat es nun mit der Kohlenstoffschuld auf sich?

Das Konzept der Kohlenstoffschuld basiert auf der Grundidee, die LUC-Emissionen in Jahren auszudrücken, die notwendig sind, bis die anfänglichen Treibhausgasemissionen vollständig durch die jährlichen Treibhausgaseinsparungen kompensiert sind. Letztere sollen durch die Herstellung und Anwendung von Bioenergie anstelle von fossilen Brennstoffen erzielt werden. Kurz gesagt ist es eine Art Rechnung, um zu verstehen, ob Ökosprit tatsächlich umweltfreundlicher ist und wie lang es dauert, bis sich seine Nutzung ökologisch rentiert.

Schauen wir uns das ganze mal an einem Beispiel an:

Schematische Darstellung der Kohlenstoffschuld (Quelle: eigene Darstellung)

Wir haben zwei Autos, das eine wird mit 100% Bioethanol, das andere mit 100% fossilem Benzin betrieben. In unserer idealisierten Darstellung wird bei der Brandrodung für den Anbau von Zuckerrohr für Bioethanol einmalig eine große Menge CO2 emittiert. Durch den oben beschriebenen Netto-Null Kohlenstoffkreislauf stößt das mit Bioethanol betriebene Auto ansonsten keine weiteren Emissionen aus. Derweil stößt der Benziner beim Fahren fortlaufend CO2 aus, welches vorher fossil gebunden war. Die Kohlenstoffschuld bezeichnet die Zeit, die benötigt wird, bis der Benziner genau so viel CO2 emittiert hat, wie durch die Brandrodung für die Bioethanolproduktion entstanden ist. Nach dieser Zeit stößt das Ethanolfahrzeug jedoch keine weiteren Emissionen aus, während der Benziner weiterhin CO2 emittiert.

Im Falle von Bioethanol, das aus Zuckerrohr besteht, das auf einer brandgerodeten Fläche des brasilianischen Regenwaldes angebaut wurde, beträgt die Kohlenstoffschuld 45 Jahre.  Man müsste also 45 Jahre mit einem Bioethanol betriebenen Fahrzeug fahren, bevor man gesamt gesehen weniger Emissionen als mit einem Benziner erzeugt.

Je nach verdrängtem Ökosystem und angebautem Grundstoff variiert die Kohlenstoffschuld stark. Dies resultiert aus den verschiedenen Mengen gespeicherten Kohlenstoffs in den Ökosystemen, der bei der Landnutzungsänderung wieder freigesetzt wird. Bei Zuckerrohrethanol, angebaut auf einer ehemaligen Weidefläche, beträgt sie lediglich 4 Jahre. Ein Extrembeispiel stellt Biodiesel dar: Wird dieser aus Soja hergestellt, dessen Anbau Regenwald verdrängt, beläuft sich die Kholenstoffschuld sogar auf 319 Jahre. Das liegt sowohl an den Emissionen durch Abholzung des Regenwaldes als auch an der schlechteren Energiebilanz des Biodiesels.

Doch wie groß ist dann die Kohlenstoffschuld für Bioethanol aus Brasilien genau?

Auch wenn die Kohlenstoffschuld für die einzelnen Landnutzungsänderungen und Rohstoffe gut berechnet werden kann, ist es schwierig eine Hochrechnung für ein ganzes Land aufzustellen. Das hat mehrere Gründe:

Zum einen ist es schwierig, das Bioethanol aus Brasilien nach Anbauflächen aufzudröseln, z.B. ehemalige Weidefläche oder Regenwald. Noch komplizierter wird es, wenn nicht nachvollziehbar ist, wie lang die Landnutzungsänderung bereits zurückliegt. Des Weiteren bedarf es einer differenzierten Betrachtung, was Landnutzungsänderung im Allgemeinen betrifft, da dieser Begriff nicht nur Fälle umfasst, in denen direkt Regenwald gerodet wird, um Platz für den Anbau von Zuckerrohr zur Biokraftstoffproduktion zu schaffen. Diese repräsentieren Landnutzungsänderungen erster Ordnung. Von ebenso entscheidender Relevanz sind jedoch Landnutzungsänderungen zweiter Ordnung, in denen beispielsweise Zuckerrohr auf einer ehemals für Viehwirtschaft genutzten Fläche kultiviert wird, wodurch die Viehwirtschaft häufig noch weiter in den Regenwald eindringt. Diese indirekten Landnutzungsänderungen sind mitunter schwer rückverfolgbar. Sie verschleiern das tatsächliche Ausmaß der Emissionen beziehungsweise der Kohlenstoffschuld im Zusammenhang mit Biokraftstoffen aus Brasilien zusätzlich.

Und was bedeutet das jetzt für unsere Entscheidung an der Zapfsäule?

Das Prinzip von Biokraftstoffen an sich wäre eine großartige klimafreundliche Alternative zu fossilen Treibstoffen. Das Problem liegt an den Anbauflächen und der damit verbundenen Landnutzungsänderung. Die LUC-Emissionen bauen teilweise eine so hohe Kohlenstoffschuld auf, dass die Klimaneutralität erst nach Jahrzehnten erreicht wird.

Handelt es sich um Bioethanol aus Anbau ohne gravierende Landnutzungsänderung, wie Brandrodung, würde man tatsächlich etwas Gutes für die Umwelt tun. Solang jedoch weiterhin Brasilien größter Exporteur mit immer weiter schwindendem Regenwald ist, ist die Klimafreundlichkeit weiterhin fragwürdig, bzw. hat es kurzfristig sogar negative Auswirkungen auf den CO2 Haushalt

Quellen

  • Ackom et al. 2010: Tabelle 11 nach Fargione et al. 2008, Gallagher et al. 2008, Searchinger et al. 2008
  • Berndes, Göran, Bird, D., Neil, Cowie, A. (2011): Bioenergy, Land Use Change and Climate Change Mitigation. Background Technical Report, [online] https://www.ieabioenergy.com/wp-content/uploads/2013/10/Bioenergy-Land-Use-Change-and-Climate-Change-Mitigation-Background-Technical-Report.pdf [abgerufen am 20.01.2024]
  • Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2022): Pressemitteilung: 11,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent 2021 durch Biokraftstoffe eingespart, [online] https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/Pressemitteilungen/2022/221205_Biokraftstoffe.pdf;jsessionid=E4EFD10669B36240F71D6C73EB2885CF.internet981?__blob=publicationFile&v=2 [abgerufen am 19.01.2024]
  • Ludwizek, N. (2017): Biokraftstoffe und Landkonkurrenz, Wiesbaden, Deutschland: Springer.
  • Peters, S. et al. (2021): Krisenklima: Umweltkonflikte aus lateinamerikanischer Perspektive, 1. Auflage, Baden-Baden, Deutschland: Nomos Verlagsgesellschaft.

 

Abbildungen

  • ADAC: https://assets.adac.de/image/upload/c_scale,f_auto,q_auto,t_2:1-default,w_1500/v1/ADAC-eV/KOR/Bilder/RF/news-umfrage-e10-2010_fnq01y
  • Flickr: https://www.flickr.com/photos/cifor/35187788493, Photo by Rini Sulaiman/Norwegian Embassy, Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

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